BFH: EuGH-Vorlage zur Anwendung des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union auf die Schenkungsteuer

Der BFH hat mit Beschluss vom 20. November 2024, II R 38/21 dem EuGH zwei Fragen zur  Anwendung des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union auf die Schenkungsteuer vorgelegt. 

Leitsätze

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (Amtsblatt der Europäischen Union 2012, Nr. C 326, 266) zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Gilt die Vorschrift für die Erhebung der Schenkungsteuer?

2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Schließt es die Vorschrift aus, dass ein Beamter oder sonstiger Bediensteter der Union, der sich lediglich zur Ausübung der Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Herkunftsmitgliedstaats niedergelassen hat, einen weiteren steuerlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet, wenn er einen tatsächlichen Wohnsitz im Tätigkeitsstaat beibehält?

Auszug aus den Entscheidungsgründen

"a) Zu klären ist, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls für die Schenkungsteuer gilt. Gemäß ihrem Wortlaut findet die Vorschrift auf "die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer sowie … die … zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen den Mitgliedstaaten der Union geschlossenen Abkommen" Anwendung. Die Schenkungsteuer wird ausdrücklich nicht genannt.

b) Im deutschen Recht ist die Schenkungsteuer als ‑‑gegenüber der Einkommensteuer, der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer‑‑ eigenständige Steuerart ausgestaltet. Sie wird in erster Linie auf Schenkungen unter Lebenden erhoben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als Schenkung unter Lebenden gilt insbesondere jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Mit Schenkungsteuer belastet wird die Bereicherung, die der Bedachte durch den unentgeltlichen Vermögenserwerb erfährt.

Die Unterschiede zwischen der Schenkungsteuer und der Einkommensteuer, der Vermögensteuer sowie der Erbschaftsteuer sprechen aus der Sicht des vorlegenden Senats gegen eine Einbeziehung der Schenkungsteuer in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls.

Von der Einkommensteuer unterscheidet sich die Schenkungsteuer dadurch, dass sie nicht an eine am Markt gebildete Wertschöpfung (das sogenannte Markteinkommen), sondern an einen Vermögenstransfer anknüpft (vergleiche ‑‑vgl.‑‑ Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.3 f.). Aus diesem Grund ordnet der vorlegende Senat die Schenkungsteuer als Verkehrsteuer ein (BFH-Urteil vom 06.05.2020 - II R 34/17, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs ‑‑BFHE‑‑ 269, 419, BStBl II 2020, 744, Rz 15, mit weiteren Nachweisen ‑‑m.w.N.‑‑).

Die Vermögensteuer wird in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben. Anders als die Vermögensteuer besteuert die Schenkungsteuer nicht das Halten von Vermögen, sondern die durch eine Schenkung vermittelte zusätzliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Erwerbers (vgl. BFH-Vorlagebeschluss vom 22.05.2002 - II R 61/99, BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598, unter II.1.; Begründung zur Reform des Erbschaftsteuergesetzes, Drucksachen des deutschen Bundestages VI/3418, S. 59).

Von der Erbschaftsteuer, die in Deutschland als Erbanfallsteuer (nicht als Nachlasssteuer) ausgestaltet ist, unterscheidet sich die Schenkungsteuer dadurch, dass die besteuerte Zuwendung zu Lebzeiten des Zuwendenden erfolgt. Demgegenüber erfasst die Erbschaftsteuer Zuwendungen aufgrund des Todes des Zuwendenden. Demgemäß unterscheiden sich Schenkungen von Erbschaften durch ihre zeitliche Planbarkeit: Während der Zeitpunkt einer Schenkung frei gewählt werden kann, bleibt der Eintritt des Todes und damit der Anfall der Erbschaft dem Zufall überlassen.

c) Dennoch bestehen aus Sicht des vorlegenden Senats Zweifel, ob die Schenkungsteuer vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen ist.

aa) Die Schenkungsteuer könnte mit dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls verwendeten Begriff der "Einkommensteuer" gleichzusetzen sein. Die deutsche Schenkungsteuer knüpft zwar an einen Vermögenstransfer an, ist ihrem Wesen nach aber eine Bereicherungssteuer (BFH-Vorlagebeschluss vom 18.12.1972 - II R 87-89/70, BFHE 108, 393, BStBl II 1973, 329, unter IV.3.b; BFH-Urteile vom 09.08.1983 - VIII R 35/80, BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27, unter 2.b und vom 01.07.2008 - II R 2/07, BFHE 222, 68, BStBl II 2008, 897, unter II.1.a; vgl. Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 18. Aufl., Einführung Rz 1: "Doppelgesicht" der Erbschaft- und Schenkungsteuer).

Die Schenkungsteuer lässt sich ebenso wie die Erbschaftsteuer als Einkommensteuer im weiteren Sinne beschreiben (zum Beispiel Crezelius, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2007, 613, 616; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.1 f.; Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 18. Aufl., Einführung Rz 3; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Einführung Rz 35). Als Personensteuern (Subjektsteuern) erfassen die Einkommensteuer, die Erbschaftsteuer und die Schenkungsteuer den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, wobei die Tatbestände des Einkommensteuerrechts an entgeltliche und die Tatbestände des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts an unentgeltliche Vorgänge anknüpfen (Crezelius, FR 2007, 613, 616; derselbe, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, Band 22 1999, 73, 106, 124). Mit der Bereicherung des Bedachten besteuern die Erbschaftsteuer und die Schenkungsteuer den individuellen Vermögenszuwachs und damit Einkommen im weiteren Sinne. Das deutsche Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ergänzt insofern das Steuerobjekt der Einkommensteuer und der übrigen Ertragsteuern, die nur am Markt erwirtschaftete Vermögenszuwächse besteuern, um Vermögensmehrungen, die der Erwerber weder erwirtschaften noch durch den Einsatz finanzieller Mittel oder im Austausch mit anderen Vermögenswerten herbeiführen muss (Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Einführung Rz 35).

In Deutschland sind die Erbschaftsteuer und die Schenkungsteuer vor allem aus praktischen (regelungstechnischen) Erwägungen nicht in das Einkommensteuergesetz integriert worden (Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.2; Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 18. Aufl., Einführung Rz 3, jeweils m.w.N.). In anderen Mitgliedstaaten werden Schenkungen dagegen unmittelbar im Rahmen der Einkommensteuer erfasst (zum Beispiel das Königreich Dänemark, die Republik Estland, die Republik Litauen und die Tschechische Republik, auch in dem ehemaligen Mitgliedstaat Vereinigtes Königreich).

bb) Die Schenkungsteuer könnte zudem mit dem in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls verwendeten Begriff der "Erbschaftsteuer" gleichzusetzen sein. Denn die Schenkungsteuer stellt lediglich eine vorweggenommene Erbschaftsteuer dar (Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.4; Curdt in Kapp/Ebeling, ErbStG, Einleitung, Rz 19). Angesichts des Zwecks der Erbschaftsteuer, das ohne eigenes Zutun erworbene Vermögen gemäß der individuell eingetretenen Bereicherung zu belasten, spielt es keine Rolle, ob das Vermögen von Todes wegen oder unter Lebenden unentgeltlich erworben wird. Die Schenkungsteuer bildet daher die notwendige Ergänzung der Erbschaftsbesteuerung (Crezelius, FR 2007, 613, 616). Ohne eine Besteuerung von Schenkungen unter Lebenden könnte die Erbschaftsbesteuerung leicht durch Verfügungen über das Vermögen zu Lebzeiten des Erblassers umgangen werden (Crezelius, FR 2007, 613, 616; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.4; Curdt in Kapp/Ebeling, ErbStG, Einleitung, Rz 19). Vor diesem Hintergrund gelten die Vorschriften des deutschen Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes für Schenkungen unter Lebenden sinngemäß (§ 1 Abs. 2 ErbStG; siehe Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 15 Rz 15.4.). Die Schenkungsteuer wird nach dem Gedanken eines "vorweggenommenen Erbens" im Wesentlichen nach den gleichen gesetzlichen Regeln wie die Erbschaftsteuer erhoben, weshalb sie häufig unter dem Oberbegriff der Erbschaftsteuer behandelt wird. Andere Mitgliedstaaten ‑‑wie die Französische Republik, die Italienische Republik, die Republik Polen und das Königreich Spanien‑‑ gehen ebenso vor.

4. Zur Vorlagefrage 2

a) Die Vorlagefrage 2 ist nur dann entscheidungserheblich, wenn die Vorlagefrage 1 so zu beantworten ist, dass Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls auf die Schenkungsteuer Anwendung findet. Dann wäre zu klären, ob Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls es ausschließt, dass ein Beamter oder sonstiger Bediensteter der Union, der sich lediglich zur Ausübung der Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Herkunftsmitgliedstaats niedergelassen hat, einen weiteren steuerlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet, wenn er gleichzeitig einen tatsächlichen Wohnsitz im Tätigkeitsstaat beibehält. Fraglich ist mit anderen Worten, ob die Vorschrift so auszulegen ist, dass neben dem nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls weiterhin bestehenden steuerlichen Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte oder sonstige Bedienstete der Union im Verlauf seines Dienstverhältnisses zusätzlich zu seinem tatsächlichen Wohnsitz im Tätigkeitsstaat einen tatsächlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet.

b) Nach der Rechtsprechung des EuGH regelt Art. 13 des Protokolls die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse zwischen der Union, dem Mitgliedstaat, in dem der Beamte oder sonstige Bedienstete vor seinem Dienstantritt bei der Union seinen steuerlichen Wohnsitz hatte, und dem Mitgliedstaat, in dem er seine Amtstätigkeit ausübt (vgl. EuGH-Urteil X/Staatssecretaris van Financiën vom 17.06.1993 - C-88/92, EU:C:1993:246, Rz 11). Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls ist der Herkunftsmitgliedstaat, in dem der steuerliche Wohnsitz des Beamten oder sonstigen Bediensteten bestehen bleibt, grundsätzlich weiterhin für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer zuständig, auch wenn der Beamte oder sonstige Bedienstete dort nicht seinen tatsächlichen Wohnsitz hat (vgl. EuGH-Urteil Gistö vom 28.07.2011 - C-270/10, EU:C:2011:529, Rz 17). Art. 13 des Protokolls räumt dem Unionsbeamten keine Wahlmöglichkeit zur Bestimmung seines steuerlichen Wohnsitzes ein. Die Aufteilung der Befugnisse durch die Vorschrift wäre in Frage gestellt, wenn der Beamte die freie Wahl hätte, seinen steuerlichen Wohnsitz in einen anderen Staat als den seines ursprünglichen steuerlichen Wohnsitzes zu verlegen. Art. 13 des Protokolls ist so auszulegen, dass die Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes des Unionsbeamten nicht vom Willen des Betroffenen abhängen kann (EuGH-Urteile X/Staatssecretaris van Financiën vom 17.06.1993 - C-88/92, EU:C:1993:246, Rz 12 f., 16 und Gistö vom 28.07.2011 - C-270/10, EU:C:2011:529, Rz 18).

c) Nach diesen Maßstäben versteht der vorlegende Senat die Regelung in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls so, dass neben dem steuerlichen Wohnsitz im Herkunftsmitgliedstaat kein weiterer steuerlicher Wohnsitz entstehen kann, wenn der Beamte zusätzlich zu seinem Wohnsitz am Dienstort einen tatsächlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Tätigkeitsstaat begründet. Für die Aufteilung der steuerlichen Befugnisse zur Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer ist nach Ansicht des Senats auf den Zeitpunkt des Dienstantritts bei der Union abzustellen. Die Begründung weiterer tatsächlicher Wohnsitze zu einem späteren Zeitpunkt hat keinen Einfluss auf diese Aufteilung, solange der Beamte seine Amtstätigkeit im Dienst der Union ausübt. Da die Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes nicht vom Willen des Betroffenen abhängen kann, bleibt der Herkunftsmitgliedstaat für die Erhebung der Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuer auch dann ‑‑allein‑‑ zuständig, wenn der Beamte, ohne den tatsächlichen Wohnsitz am Dienstort aufzugeben, aus privaten Gründen Wohnsitze in anderen Mitgliedstaaten als dem Staat seiner Amtstätigkeit begründet. Auf die Gründe der zusätzlichen Wohnsitznahme (dienstlich, privat und so weiter) kommt es nach Auffassung des Senats nicht an.

d) Diese Auslegung ist nicht frei von Zweifeln. Seinem Wortlaut nach trifft Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls eine Regelung lediglich für das Niederlassen am Dienstort zur Zeit des Dienstantritts bei der Union. Zu einer späteren Begründung eines weiteren Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat außerhalb des Staates, in dem der Beamte seine Amtstätigkeit ausübt, enthält die Vorschrift keine Aussagen. Ungeachtet dessen ist Voraussetzung für die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls, dass der Beamte "sich lediglich zur Ausübung einer Amtstätigkeit im Dienst der Union im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats" niederlässt. Dies trifft auf die Wohnsitznahme in einem Mitgliedstaat außerhalb des Tätigkeitsstaates nicht zu, wenn diese Wohnsitznahme zur Errichtung eines gemeinsamen Hausstands mit dem Ehepartner erfolgt. Darüber hinaus könnte die Formulierung "in den beiden genannten Staaten" darauf hindeuten, dass Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Protokolls eine Aufteilung der steuerlichen Befugnisse ausschließlich zwischen dem Herkunftsstaat und dem Mitgliedstaat der Amtstätigkeit vornimmt. Dies könnte bedeuten, dass der Beamte neben dem fingierten Wohnsitz im Herkunftsstaat weitere steuerliche Wohnsitze in anderen Mitgliedstaaten ‑‑außerhalb des Staates der Amtstätigkeit‑‑ begründen könnte. Konkurrierende Steuerpflichten in mehreren Mitgliedstaaten wären dann gegebenenfalls durch Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu beseitigen. Im Streitfall bestünden allerdings keine konkurrierenden Steuerpflichten, sondern nur eine Steuerpflicht in Deutschland, da Österreich die Erbschaft- und Schenkungsteuer bereits zum 01.08.2008 abgeschafft hat."

Glossar: Protokoll (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union

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